Konflikte der Epochen in meinen Adern

 Von Beginn an beherrschte das Chaos mein Leben. In meinen Adern manifestieren sich die Konflikte der Epochen. Vermischt haben sich nicht nur die verschiedenen Nationalitäten – falls es anders wäre, wäre ich keine richtige Russin –, meine Vorfahren gehörten auch noch entgegengesetzten sozialen Gruppierungen an.

Väterlicherseits habe ich blaues Blut in mir – das Blut des georgischen Adelsgeschlechts der Bagratiden. Von daher bin ich mit den Romanows und auch mit dem spanischen Zweig der Bourbonen verschwägert.

Die mütterliche Seite weist bodenständigere Vorfahren auf: Lehrer, Priester und Bauern.

Beide Großväter galten ihren Angehörigen als Helden des Bürgerkriegs, doch sie hatten auf verschiedenen Seiten der Barrikade gekämpft.

Mein Vater war Offizier im Großen Vaterländischen Krieg. Geheiratet habe ich dann einen Mann, dessen Vater auf Seiten der Wehrmacht gekämpft hat. Bei Stalingrad geriet er in Gefangenschaft und kehrte nach fünf Jahren, von Sympathie für Russland erfüllt, zurück. Das war für mich zunächst unverständlich. Später jedoch traf ich noch andere ehemalige Kriegsgefangene, die mir, weil ich Russin war, tiefe Sympathie entgegenbrachten.

Jetzt lebe ich in Wien, während mein österreichischer Mann in Moskau lebt.

Meine Kindheit war geprägt von Übersiedlungen – die Familie zog durch unser riesiges Land – von den Grenzen im Westen bis zu jenen im Osten. Als ich vierzehn Jahre alt war, trennten sich meine Eltern, danach kam ich nach Georgien, in die Heimat meines Vaters, wo dieser bald wieder heiratete. Nach der Reifeprüfung hatte ich es eilig, meinem Elternhaus den Rücken zu kehren.

Ich inskribierte Journalistik an der Universität von Kasan. Schon bald war ich Abteilungsleiterin in der Redaktion einer Kasaner Zeitung. Ich arbeitete auch bei einer Fernsehersendung. Obwohl ich mit einer wunderbaren Karriere hätte rechnen können, trug mich der wind of change wieder nach Tbilissi zurück.

Ein halbes Jahr lang schrieb ich für verschiedene georgische Zeitungen, dann beschloss ich, nach Murmansk zu gehen. Dabei hatte ich einmal Umsteigen in Moskau zu bewältigen und musste mich um ein Visum für Murmansk bemühen, das damals militärisches Sperrgebiet war. Das dauerte etwa fünfzehn Jahre. Inzwischen beschäftigte ich mich als Journalistin in verschiedenen Zeitungen und in Radiosendung.

Das Visum bekam ich letztendlich auch, aber nicht für Murmansk, sondern für Österreich.

Ich heiratete nämlich einen Österreicher. Vor der Übersiedlung nach Wien lebten wir acht Jahre in Moskau. Wir bekamen einen Sohn.

Psychologie hat mich schon immer interessiert, aber die Gelegenheit, die Psychoanalyse gründlich kennenzulernen, ergab sich erst in Wien. Die Psychoanalyse half mir, mir zwei neue Berufe anzueignen. Ich arbeitete als Übersetzerin und Wissenschaftsjournalistin.

Die Moskauer Zeitschriften rissen sich um meine Beiträge und um meine Übersetzungen der Artikel österreichischer Fachleute. Zudem war ich als Journalistin beim österreichischen Bundeskanzleramt akkreditiert.

Im Jahr 1995 veröffentlichte der Verlag Nauka meine Übersetzung eines bemerkenswerten Buches des österreichischen Psychoanalytikers Helmuth Figdor über Scheidungskinder. Danach veröffentlichten bedeutende Moskauer Verlage meine Übersetzungen ins Russische von vier grundlegenden Arbeiten zur psychoanalytischen Pädagogik, einen Gedichtband und vier Bücher von mir aus dem Bereich wissenschaftlicher Journalismus.

Jetzt ist die Zeit für meine anderen Lieblingskinder gekommen. Ich meine damit eine ganze Reihe von mir verfasster Erzählungen und Gedichte, die darauf warten, das Licht der Welt zu erblicken.

Heute präsentiere ich Ihnen zwei meiner Büchereinen Lyrikband und einen Roman. Beide sind auf Russisch und auf Deutsch erschienen und sind in alle Buchhandlungen in Europa, USA und Kanada zu erreichen, sowie bei Amazon, auch als E-Book.

Die Übersetzung ins Deutsche stammt von mir.

Doch ohne gutes Lektorat gibt es kein gutes Buch. Ich muss sagen, dass ich mit der Lektorin Glück hatte. Elisabeth Namdar hat ein ausgezeichnetes Gespür für russisch-österreichische Realien und die Melodie eines Textes.

Ich habe eine weitere große Leidenschaft – die Fotografie.

Zudem befasse ich mich auch mit Malerei und Kunstkeramik.

Von Zeit zu Zeit packt mich mein alter Wandertrieb. Dann setze ich mich ans Steuer meines nunmehr auch schon etwas betagten Škoda und mache mich auf den Weg, fahre, wohin mein Auge schaut. Ich liebe Europa mit seinen zahlreichen alten Kulturdenkmälern. Von meinen Reisen bringe ich Reiseessays und natürlich tausende Fotos mit. Mehr als zwanzig Bildbände zeugen von meinen Reisen.

Derzeit bereite ich die Publikation eines schon vor langer Zeit geschriebenen Buches mit dem Titel Doktor, lehren Sie mich singen! vor. Ich arbeite auch an einem Roman, der in Österreich spielt. Mein Kopf ist voll von Geschichten.

Ein Philosoph, der an die Seelenwanderung glaubt, sagte einmal: „Denkt nur nicht, dass eure vergangenen oder künftigen Leben weniger nichtig sind oder sein werden, als eure jetzigen!“

Aber ich liebe meine Helden und ihre nichtigen Leben!